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Luftwirbel traveling... Karpaten

Reisetagebuch
Karpaten

Donnerstag 12.09.2019

Zeit unterwegs von 10:30 bis 19:45 Uhr 

Zeit in Fahrt = 4:45 h

 

Snina [SK] → Uschgorod (Ужгород) → Chust (Хуст) [UA]

238 Kilometer

Der heutige Tag beginnt wunderbar. Martin entfacht aus dem Restholz, welches wir gestern für 2 € kauften, ein Lagerfeuer. Über dem Feuer rösten wir uns Frühstücksbrote, schlürfen frisch gebrühten Kaffee und geniessen die Wärme. Besser könnte ein Tag gar nicht starten.

 

Dass dieser Donnerstag jedoch geprägt wird durch Fehlentscheidungen und sich somit zum schlimmsten Tag der ganzen Reise entwickelt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht ahnen. Denn, noch ist die Welt in Ordnung, und wir freuen uns über die Mail von Oksana, dass sie sich auf unseren Besuch freut und uns eine gute Fahrt wünscht.

 

Es bleiben noch ein paar scheite Holz übrig. Währen andere Camper/Reisende da, so würden wir es denen verschenken. Aber es einfach dem Campingplatzbesitzer überlassen, der es bestimmt ein zweites Mal verkauft, das wollen wir nicht.

 

Also, aufs Motorrad packen (möglicherweise die erste Fehlentscheidung des Tages).

 

Da Martin immer ein bisschen darauf achtet, dass ich das leichtere Gepäck habe, so schnallt er die „schwereren“ Hölzer bei sich aufs Motorrad. Dafür übernehme ich die eine Isomatte, welche bis dahin bei Ihm auf dem Koffer mitfuhr.

Die Ukraine ist nur noch 30 Kilometer entfernt. Vor der Grenze tanken wir nochmals voll (1,349 €/L). Schliesslich wissen wir nicht, was uns erwartet.

 

Gerne würde ich von mir behaupten, ich wäre frei von Vorurteilen. Doch das ist in Anbetracht der Medienprägung leider nicht ganz einfach.

Seit Monaten dominiert der Ukraine Konflikt. Ob man will oder nicht; Man hört einfach immer nur schlechtes. Keine Ahnung, aber wann hab ich das letzte Mal etwas „gutes“ über dieses Land gehört? Und doch, dieses Land ist riesig. Mit einer Fläche von 603´700 km² passt die Schweiz 14 mal hinein. Bei einem so riesigen Land kann doch nicht alles schlecht sein.

 

In Wahrheit handelt es sich doch nur um eine komplett einseitige Berichtserstattung. Was ist mit all den Menschen, die halt einfach da geboren sind? Menschen wie Du und ich. Mit denselben Grundbedürfnissen wie wir. Von diesen Menschen, die friedlich mit- und nebeneinander leben, morgens aufstehen, um sich abends wieder schlafen legen, sich um Ihre liebsten kümmern und Träume haben, hört man nichts. Als würde es sie nicht geben.

Aber es gibt sie, da sind wir uns ganz sicher.

 

"Reisen bedeutet herauszufinden, dass alle Unrecht haben mit dem, was sie über andere Länder denken" (Aldous Huxley)


Je näher wir der Grenze kommen, desto schwieriger ist es jedoch, die Vorurteile auszublenden.

 

Und schon fahren wir im Schritttempo in den Korridor aus einem meterhohen Zaun mit jeden mengen Überwachungskameras. Irgendwie Unheimlich.

Die Ausreise aus der Slowakei ist schnell erledigt. Passkontrolle, Überprüfung der Fahrzeugpapiere und schon dürfen wir die EU verlassen und bis zur ukrainischen Seite vorfahren. Die slowakischen Zollbeamten sind viel mehr mit Kontrollen der in die EU Einreisenden beschäftigt. Ist Ja auch gut zu sehen, dass die Aussengrenzen ordentlich kontrolliert werden.

 

Auf ukrainischer Seite erwartet uns eine erneute Passkontrolle. Wir werden nach unserem Vorhaben, bzw. unserer Route gefragt.

Tourist. Karpaten: Werchowyna – Rumänien.

 

Danach müssen wir angeben, wie viele Kilometer unsere Motorräder haben und wie viel Liter im Tank sind.

Suzuki DR-650: 65´615 KM / 18 Liter

Yamaha Ténére: 58´081 KM / 20 Liter

 

Einer der Männer kommt aus dem Häuschen und begleitet uns zu den Motorrädern, wo er die effektive Fahrgestellnummer mit der Nummer im Ausweis abgleicht.

 

Danach, oder war es davor, ich weiss es nicht mehr, müssen wir die Koffer öffnen und zum Teil ausräumen.

 

Und obwohl wir nichts schmuggeln, keine geklauten Töff's haben und auch sonst keine bösen Absichten hegen, sind wir angespannt und irgendwie nervös. Wenn das nur „Gut“ kommt.

 

Zum Schluss müssen wir vorne links ins „letzte Häuschen“.

Da wir nicht wissen, was der Mann am Bürotisch nun auch noch von uns will, reichen wir ihm die ganze Mappe mit den Pässen, Versicherungspapieren, Fahrzeugscheinen und Führerscheinen.

Er zieht ein kleines Papierdokument heraus, welches wir vorher irgendwann ausgestellt bekamen (und keine Ahnung haben, wozu das dient). Kyrillisch können wir leider nicht entziffern. Er nimmt das Papier zu sich und wir dürfen fahren. Unsicher schauen wir uns um. Wir dürfen fahren? Einfach aufsteigen und losdüsen? Sicher?

 

Es scheint sich niemand mehr für uns zu interessieren. Wir ziehen uns an und fahren bis zum nächsten Schlagbaum, wo ein bewaffneter Soldat steht. Der Schlagbaum wir geöffnet. Wir sind in der Ukraine.

 

Ab hier ist es vorbei mit dem guten Strassenzustand. Es handelt sich zwar noch immer um einen befestigten Belag, mal besser, mal schlechter, mal mit kleinen dafür echt tiefen Löcher und mal grossen, mit Rillen, Flicken und Unebenheiten.

 

Interessanterweise fährt hier niemand „zu schnell“, denn das geht bei der Strasse überhaupt nicht. Auch wenn unser 21“ Zoll Vorderrad das alles locker wegsteckt, so versuchen wir doch möglichst Materialschonend unterwegs zu sein. Nicht vergessen, wir sind voll beladen und haben kein Begleitfahrzeug mit Ersatzteilen (oder einem Reservemotorrad) dabei. Ob der TCS/ADAC uns hier abholen würde?

 

Der erste Landeseindruck, die Häuser und die Strasse. Wir haben viele tolle Fotos gemacht. Aber ihr wisst ja ;-(. 

 

Ein kleiner Trost um eine Vorstellung (von einer Brücke) zu bekommen, ein Handy-Foto vom übernächsten Tag.

Eine gefühlte Ewigkeit und effektiv 24 Kilometer später biegen wir direkt hinter einer Brücke auf eine Nebenstrasse ab, um eine Pause zu machen.

3 Bedürfnisse drängen um die Priorität: Kaffee, etwas essen und ich muss pinkeln.

Martin giesst uns gerade Kaffee ein, da fällt es mir wie Schuppen aus den Augen.

 

Symbolbild vom nächsten Tag. 

Da fehlt etwas. Der Sack mit unserer Isomatte. Schei***, und jetzt? Zurückfahren? Haben wir den Packsack vor oder nach der Grenze verloren? Ich weiss es nicht! Kannst Du dich erinnern? Streng dich an: War der Sack während der Kontrolle noch drauf?

 

Ich schau die heutigen Fotos durch. Unglaublich, aber auf keinem Bild ist der rechte Koffer der Ténére mit oder ohne Sack sichtbar. Wenn wir ihn nach der Grenze - das kann eigentlich nur nach der Grenze passiert sein, auf diesen Holperstrassen - verloren haben, liegt er noch da?

 

Fehlentscheidung Nr. 2: Wir fahren die 24 Kilometer zurück zur Grenze in der Hoffnung, dass wir ihn irgendwo auf der Strasse, am Strassenrand, im Strassengraben oder zerquetscht vorfinden.

 

24 Kilometer klingt nach nicht viel, aber die Strecke ist ordentlich anstrengend. Weil wir auch keine Zeit verlieren wollen, kippen wir uns die Tasse Kaffee in den Rachen und verzichten auf ein Stück Brot mit Käse. Meine volle Blase scheint mein Körper gerade irgendwie zu verdrängen.

 

Doch mit jedem Kilometer, welchem wir uns der Grenze nähern schwindet unsere Hoffnung.

 

Angestrengt versuche ich mich zu erinnern, ob dieser blöde Sack bei der Grenzkontrolle noch auf dem Motorrad war. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass uns der leere Gurt während der Grenzkontrolle aufgefallen wäre.

Aber, wir waren beide nervös, da achtet man vielleicht gar nicht auf so was. Zudem fahre ich oft mit einem „Reservegurt“ auf dem Koffer rum. Ein gewohntes Bild, welches eigentlich kein weiteres Aufsehen erregt. Mir ist es nur aufgefallen, weil der Gurt so lose war.


Es hilft alles nichts. Wir können uns nicht erinnern. Vor uns tauscht schon die Grenze auf, und bevor wir dem Soldat beim Schlagbaum irgendwelche Fragen beantworten müssen, kehren wir wieder um.

Zurück in die Slowakei wollen wir nicht.

 

Ich mache mir Vorwürfe, weil ich diesen blöden Sack wohl nicht richtig festgebunden habe und ärgere mich über mich selbst.

 

Nochmals 24 Kilometer später stehen wir wieder an der Brücke. Die Zeit und die Kraft, welche das hin und herfahren kostete war völlig vergebens.

 

Da wir es heute eh nicht mehr bis Werchowyna schaffen, müssen wir irgendwo übernachten.

Dass ICH ohne Isomatte schlafe ist mir dabei völlig klar, doch Martin hat Einwände. Auf keinen Fall solle ich auf dem Boden liegen, sondern er. Ne, ICH hab sie verloren, also schlaf ICH am Boden. Zudem hab ich in Indien einen ganzen Monat ohne Matte geschlafen, da diese einfach kein Platz im Rucksack fand.

Nein, in Indien war es warm. Dann übernachten wir in einem Hotel. Das will ich aber auch nicht. 


Da keiner den anderen auf dem kalten und harten Boden schlafen lassen will und mein Sturkopf auch gegen ein Hotel ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu überlegen, wo wir (heute noch) eine neue Isomatte auftreiben können.

 

Etwas südlich, beim Grenzübergang im Flachland, liegt die nächste größere Stadt, Ushgorod mit 115´000 Einwohner (Schätzung 2019).

Da wir offline sind und kein Google nutzen können, müssen die POIs von Garmin her, welches ein dutzend Sportgeschäfte in der Stadt anzeigt. Ja also, dann kaufen wir da eine Matte und alles wird gut.

 

Es folgt die dritte Fehlentscheidungen:

Anstatt hier bei der Brücke wie geplant rechts abzubiegen und irgendwelchen Strassen in den Karpaten zu folgen, fahren wir nun weitere 20 Kilometer geradeaus in die Stadt Ushgorod.

 

In einer kleinen Ortschaft finden wir eine Wechselstube. Geld brauchen wir schliesslich auch noch!

100€ = 2710 UAH (Hrywnja). Da auch tschechische Kronen gewechselt werden können, werden wir unsere übrigen 500 CZK auch los und erhalten dafür 510 UAH. Total tragen wir jetzt 3220 UAH mit uns herum. In grossen Scheinen versteht sich.

 

Ich möchte gleich gegenüber der Wechselstube unsere ersten Hrywnja´s für einen Kaffee ausgeben (und Pinkelpause machen). Martin jedoch hat keinen Kopf für Kaffeekränzchen, sondern will so schnell wie möglich in die Stadt um vor dem Abend eine Unterlage gekauft zu haben. Als würde er es ahnen.

So fahren wir weiter. Meine Bedürfnisse bleiben auf der Strecke. 

Kaum sind wir aus dem Gebirge raus, im Flachland, so erdrückt uns ein schwülwarmes Klima. Fürchterlich. Dazu ein erhötes Verkehrsaufkommen. 

 

Meine Laune verfinstert sich immer wie mehr. 

 

Vor uns taucht bereits die Stadt auf, und bevor wir uns von Ushgorod verschlucken lassen, fahr ich rechts ran. Ich brauche einen Schluck Wasser und irgendwas zum knabbern. Doch zuvor werde hier und jetzt direkt hinter meinem Motorrad pinkeln. Ich bin genervt und frustriert.


Dann krame ich einen Getreidestengel aus dem Küchen-Motorradkoffer von Martins Motorrad und schwöre mir ab diesem Augenblick immer zwei, drei Riegel in meinem Tankrucksack aufzubewahren. Für den kleinen Hunger zwischendurch. Nur weil "er" das nicht braucht, so heisst es nicht, dass ich es auch nicht brauche.

 

Martin erkennt die Situation und entschuldigt sich bei mir. Dass wir bei der Wechselstube nicht ins Kaffee gingen und auch sonst nirgends eine kleine Pause machten. Auch ich entschuldige mich für mein Verhalten ihm gegenüber. 

 

Das tut gut und gibt neue Kraft und Zuversicht.

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