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Luftwirbel traveling... Karpaten

Reisetagebuch
Karpaten

Na dann, auf ins Getümmel.

 

Die Stadt ist ein Graus.

Sie besteht aus einer einzigen Dieselabgaswolke und ist mit miesesten Pflastersteinen versehen, zumindest im Teil der Altstadt, wo Garmin uns hinführt. 

 

LKW´s mit pechschwarzer Fahne drängeln sich an uns vorbei, während ich versuche, uns zum ersten Geschäft zu navigieren.

 

Blöderweise fahre ich eine „steile“ Pflasterstein-Auffahrt hoch und verpasse den 90grad Abzweiger nach links in eine schmale Gasse. Mitten im Hang bleib ich stehen. Ich bin erschöpft, frustriert und soeben nicht mehr Herr übers Motorrad. Fahrblockade. Das blödeste, was mir in diesem Zeitpunkt passieren kann. Hinter mir hupt es schon. Das macht die Sache nicht besser. Ich fahr die Ténére gerade noch hoch auf den Vorplatz der Kathedrale. Martin hat inzwischen DI-DR in der Gasse abgestellt und versucht mich zur Vernunft zu bringen. Irgendwann geb ich klein bei, steige ab und er parkt mein Motorrad ordnungsgemäss.
 

Wir setzen uns auf den Bordstein. Die Kamera lege ich zu unseren Füssen auf den Boden. Seit dem Verlust der Isomatte hab ich kein Foto mehr gemacht. Ich bin fix und fertig. Ich hasse Situationen, wo mir die Ténére zu groß und zu schwer ist. Dann zweifle ich, ob ich das Motorrad fahren nicht besser sein lasse, wenn ich damit nicht zurechtkomme.


Martin versucht zu trösten. In seinen Augen war die Auffahrt auf diesem alten, abgefahrenen und verratztem Pflastersteinen mit Blick auf die Kathedrale, welche da auf dem Huckel thront ein Erlebnis.

 

Ich hab bis eben noch gar nicht bemerkt, dass da oben so ein zweitürmiges Gebäude steht.

 

Wie auch, ich war voll und ganz mit der Navigation in den verwinkelten Altstadt-Gassen einer fremden Stadt beschäftigt. Anstatt dieser Kathedrale Beachtung zu schenken, hab ich versucht, unter Berücksichtigung des übrigen Verkehrs, den richtigen Abzweiger zu erwischen. Da kann ich nicht auch noch in der Weltgeschichte herumschauen.

 

Bild: Google street view

Später wendet er mir die Ténére und wir fahren die linke Parallelstrasse wieder abwärts. Der Sportladen befindet sich nämlich unten, wir hätten nie zur Kathedrale gemusst, sondern nur - zu Fuss - auf die andere Seite der Strasse.
 

Der Laden hat keine Campingartikel. Da sich die meisten der anderen Geschäfte (welche Garmin uns anzeigt) in geh-Distanz befinden, lassen wir die Motorräder in der Seitengasse. 600 Meter sind in dieser „verfluchten Stadt“ schneller zu Fuss erreicht.

 

Ein dutzend Läden; Sportbar, Eliteshop, Всеспорт, sogar eine Ski-boutique. MaxSport klingt doch gut, aber auch da laufen wir vergebens hin. Was wir suchen finden wir nicht.

Uns bleibt nichts anderes übrig, als ohne den Kauf einer Matte weiter zu fahren. Weiter in die unbekannte und bis jetzt auch sehr unsympathische Ukraine.

 

Bei späteren Recherchen (Zuhause, im Internet, via google-maps) finden wir doch tatsächlich einen „richtigen“ Outdoor-Laden, der zumindest Wanderschuhe, Rucksäcke, Messer, sowie Gas-Kocher- & Zubehör verkaufen würde. Wenn überhaupt, dass wären wir wohl da fündig geworden. Der Laden heisst: Магазин Екстремал und liegt nicht im Teil der Altstadt. Tja, aber von diesem „Extreme-Shop“ wussten wir in jener Situation halt leider nichts.

 

Mit der ernüchternder Kenntnis, dass „Campen“ in der Ukraine wohl nicht "In" ist, laufen wir zu den Motorrädern zurück. Und gerade als wir aufsteigen wollen, ein Schock; Wo ist der Fotoapparat?

 

Dass ich ihn oben bei der Kathedrale einfach liegen liess, kann ich mir fast nicht vorstellen. Beim Blick zurück wäre er aufgefallen. Aber sicher bin ich mir plötzlich doch nicht mehr, und so spurte ich völlig aufgewühlt nochmals da hoch. Martin guckt in den Motorrädern, falls ich ihn unbewusst in irgendeinen Koffer verstaut habe.


Was für ein beschissener Tag. Ich versinke in Tränen. Jetzt kann mich auch ein Martin nicht mehr trösten. All die Fotos sind unwiderruflich weg. Weg, wir werden Sie nie wieder sehen. Dazu natürlich auch der Fotoapparat, aber der ist ersetzbar. Die Bilder nicht.
 

Normalerweise ist die Navigation mein Part. Doch Martin realisiert, dass ich nicht mehr fähig bin, uns aus der Stadt zu führen und fährt vor.

 

Bild: Google street view

Wir fahren nicht zurück ins Gebirge, sondern benutzen nun die Hauptschlagader E50; M06; H09, welche parallel zu den Karpaten verläuft. Ist zwar nicht das was wir eigentlich wollten, aber jetzt haben wir die Karpaten schon verlassen. 20 Kilometer zurück zur Brücke, nur um wieder in den Gebirgszug einzusteigen ist keine Option. Irgendwann wollen wir ja auch Werchowyna erreichen.

 

Wir fahren und fahren und fahren. Pausenlos, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Der Selbsthass nagt an mir. Hätte ich doch nur diesen blöden Sack mit der Isomatte nicht verloren! Dann wären wir nicht in diese blöde Stadt ..... Dann...Wenn... Hätten.... Es hilft alles nichts!

 

Die „fette“ Hauptstrasse ist in einem relativ guten Zustand. Das erkennt man vor allem daran, dass alle rasen. 90 Km/h ist erlaubt. Wir fahren mit über Tacho 100 und werden ständig überholt. Sogar von LKW´s. Total krank. Ein uns überholender Brummi wird gleichzeitig von einem weiteren Überholt. Der Gegenverkehr muss halt schauen, wo er bleibt.

 

Der mittlere Bereich der breiten Fahrspur ist der bevorzugte. Zu weit am Rand fahren sollte man vermeiden. Vor allem bei Tempo 100, denn ab und zu fehlt Links und Rechts aussen einfach der Belag. Zudem haben die vielen und schweren Lastwagen Ihre Spuren hinterlassen. Der Asphalt ist stellenweise so hoch aufgestaucht (in Längsrichtung), dass mein Vorderrad bis fast zur Radnabe darin verschwindet.

 

Wir fahren und fahren und fahren. Von einem Ballungszentrum ins nächste. Das heisst: Martin fährt. Ich folge ihm, tief versunken in meinen Gedanken.

Am liebsten würde ich dieses Land sofort und ohne Umwege direkt wieder verlassen.

 

Die Grenze zu Rumänien läge auch nur etwa 10 KM Luftlinie entfernt. Doch abgesehen davon, dass es auf der gesamten Grenzlänge von 601 Kilometer zwischen der Ukraine und Rumänien nur gerade drei offizielle Strassenübergänge gibt, und die alle nicht um die Ecke liegen, so wollen wir doch eigentlich zu den Huzulen. Werchowyna ist unser Ziel.

 

Und zum Glück halten wir an diesem Plan fest. Denn dies gibt uns die Möglichkeit, die Ukraine in den nächsten Tagen von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Von einer bunten und fröhlichen, mit ganz vielen tollen und liebenswerten Begegnungen, im Huzulenland.

 

Doch noch sind wir im heute, und heute ist alles [zensiert].

Irgendwann hält Martin an einem See. Hier übernachten? Mir egal. Er fährt zum Strand, schaut sich die Beschaffenheit an, kommt zurück und will nun doch nicht hier zelten. Mir auch egal.

Nächster Halt macht er vor einem Hotel, welches direkt an der Strasse liegt und nicht besonders einladend aussieht. Hier? Mir immer noch egal.

Im Nachhinein betrachtet hätten wir spätestens hier übernachten sollen. Oder sogar noch früher uns irgendwo einquartieren. Wir waren beide erschöpft und totmüde.

 

Doch wir fahren weiter und weiter und weiter. Ich bin nicht anwesend. Wie in Trance fahre ich einfach nur hinter der DI-DR her.

19:30 Uhr, die Dämmerung hat bereits eingesetzt, als wir die Stadt Chust (Хуст) erreichen.

Von Ushgorod bis Chust waren es „nur“ 110 Km. Bis Wechowyna sind es nochmals 200.

 

Höchste Zeit für eine Unterkunft. 

 

Martin steuert das Hotel Karpaty an. Ein minimal kleiner Trost; Wenn wir schon nicht in den Karpaten unterwegs sind, so übernachten wir wenigstens im Hotel Karpaty.

Beim Empfang fragen wir nach einem Zimmer und schon folgen wir der Dame in den zweiten Stock. Ja, das ist ok, das nehmen wir.

Als allererstes will sie Geld sehen. Wir müssen direkt jetzt gleich bezahlen, noch bevor wir unsere Sachen aufs Zimmer bringen. Naja, vielleicht ist das hier so üblich…. Wir wissen es nicht und lassen uns auf den Preis auf der Tabelle ein. Mit 700 UAH (26,6 €) hat sie uns grad mal das zweit-teuerste Zimmer verkauft. Danach erklärt Sie, dass wir die Motorräder auf die andere Seite des Gebäudes stellen müssen.

 

Tja, Pech gehabt. Wir haben zwar die Motorräder im Innenhof vor dem „Karpaty“ abgestellt, aber wohl die „falsche“ Tür gewählt und haben somit im Hotel „nebenan“ eingecheckt. Dass die Hotels sich irgendwie ein Gebäude Teilen, … können wir nicht wissen. Jetzt ist zu spät. 

 

Und nur böse Zungen mögen behaupten, dass die Dame an der Rezeption direkt realisiert hat, dass wir eigentlich ins Karpaty wollten.

 

Fakt ist: Wir sind heute nicht nur NICHT in den Karpaten gefahren, sondern haben es zudem auch nicht geschafft, im Hotel Karpaty zu übernachten.

 

Das Zimmer ist ganz schön. Die Dusche hat warmes Wasser.

 

Essen gibt’s im Restaurant „nebenan“, welches auch irgendwie im selben Gebäude ist, aber wiederum nen eigenen Eingang hat. Es würde uns nicht wundern, wenn die Gäste vom Karpaty auch in diesem Restaurant speisen. 

 

Martin hat kein Appetit. Trotzdem wirft mit mir einen Blick in die Karte und bestellt ein Bier. Ich bestelle ein Gläschen ukrainischen Rotwein und dann tippen wir beide mit dem Finger im Bereich der Vorspeisen auf die Karte.

Kurz darauf bekommen wir einen Salat (Martins Finger) und eine Art Rührei mit allem Möglichen drin. Lecker war´s für 260 UAH (9.50 €).


Zurück ins Hotelzimmer und ab ins Bett.

Wir werden aus solchen Situationen lernen dürfen:

 

Wir sind heute 238 Kilometer durch ein fremdes Land gereist. Wir haben es weder genossen noch beachtet. Und das ist nicht gut!

 

Seit Tagen vermissen wir so kleinen Essensstände am Strassenrand mit lokalen Spezialitäten und Früchten. Heute sind wir an solchen Ständen mit Trauben vorbeigefahren und haben sie einfach ignoriert. Warum? Weil wir beide genervt und schlecht gelaunt waren. Schade um die köstlichkeiten. 
 

Und nur weil ich den Fotoapparat verloren habe, bringt es ihn nicht zurück, wenn ich aus Frust keine Fotos mehr mache. Handy-Foto´s sind vielleicht nicht die besten, aber besser als keine. All die kommenden Bilder der nächsten 2 Wochen sind "nur" Handy-Fotos. In vielen Situationen hab ich mir ein „vernünftiges“ Objektiv und 30x optischer Zoom gewünscht, doch trotzdem freue ich mich über jedes einzelne halbwegs gute Foto.


Doch am allerwichtigsten ist: Dass wir nicht grummelig aufeinander werden.

Ich war so in meine Selbstwut versunken und Martin hatte nur noch Stadt und Isomatte im Kopf, dass wir uns noch nicht mal mehr Zeit für ein Kaffee nahmen. So schaukelt sich die miese Laune gegenseitig hoch, bis wir nicht mehr „gemeinsam“ die neuen Eindrücke "geniessen" konnten. Und das ist genauso schlecht, wie keine Trauben zu kaufen, uns irgendwo hinzusetzten und das neue Land auf uns wirken zu lassen.

 

Das nächste Mal, wenn wir was verlieren, dann ist es so. Wenn es nicht gerade überlebenswichtig ist: Weiterfahren. Wir sind doch sonst auch Meister im Improvisieren.

ГОТЕЛЬ [Chust]

 

 

2 Personen im Doppelbettzimmer

 

 

= 700 UHA = 26.60 € (= 13.30 €/Person)

 

Ohne Abendessen, ohne Frühstück

 

 

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