




Donnerstag 12.09.2019
Zeit unterwegs von 11:45 bis 16:30 Uhr
Zeit in Fahrt = 3:06 h
Hohe Tatra [SK] → A3 → Snina [SK]
195 Kilometer
Luftwirbel traveling... Karpaten
Reisetagebuch
Karpaten

Doch die Strasse östlich entlang des Stausee´s ist gesperrt. Und wie das im Gebirge nun mal so ist, Umleitungen sind lang. Das macht dann plus 100 Kilometer…. in die „falsche“ Richtung. Die Umleitung führt zuerst einmal aus den Karpaten raus, um 50 Kilometer südliche, am unteren Ende des See´s wieder ins Gebirge zurückzukehren.
Wir wollen die Karpaten nicht schon wieder verlassen, im Gegenteil, wir wollen tiefer rein.
Ein Blick auf die Strassenkarte zeigt, dass es bei Borsec zwei, beziehungsweise drei Campingplätze gibt.
So lassen wir den See „links“ liegen und biegen rechts ab. Tiefer hinein ins Herzen der Waldkarpaten.

Von den 45 Kilometer, vom See bis Borsec sind 40 Kilometer „Innerorts“, und somit mit 50 Stundenkilometer zu bewältigen. Eine 40 Kilometerlange 50er Zone! Das gibt es doch nicht. Die „Dörfer“ bestehen aus einer Häuserreihe links und rechts entlang der Strasse. Haus an Haus an Haus. Hinter der Häuserwand ist in Acker, Feld und Wald. Ein Ortsschild löst das nächste ab. Haus an Haus an Haus – 40 Kilometer lang.


Natürlich werden wir ständig überholt. Ein „Versuch“ zeigte, dass so ab 80ig Km/h die Wahrscheinlichkeit schwindet, dass uns PW´s am Heck kleben und um jeden Preis überholen wollen.
Doch auch wenn „alle“ anderen so schnell durch die Dörfer rasen, und wir halbwegs „im Fluss“ versuchen mitzufahren, ist es uns unwohl. Zum einen wegen den überall angedrohten Radarkontrollen, zum anderen, weil man nicht mit über 70ig Sachen durch ein Dorf fährt! An die 50ig halten ist aber auch irgendwie blöd. Erstens kommt man nicht vorwärts und zweitens ist man ein fahrendes Hindernis. Es reicht, wenn die Pferdefuhrwerke für abrupte Brems- und gewagte Überholmanöver sorgen.


In einem der Dörfer kaufen wir eine Kleinigkeit fürs Abendessen ein.


Bis auf dieses letzte Stück, bietete der heutige Tag unglaublich viel Abwechslung: Pässe, Wälder, Ortschaften und landwirtschaftliche Flächen. Nebel, Wolken, Nieselregen und Sonnenschein. Ein interessanter Mix bei angenehmer Temperatur. Schnelle Einheimische, riesen Holztransport-Lastwagen und gemütliche Pferdefuhrwerke.
1,5 Stunden später sind wir in Borsec, aber von einem Campingplatz keine Spur.
Ich habe mich doch schon so auf ein frühes Ankommen und Ausruhen am Stausee gefreut. Jetzt bleibt uns wohl nichts anderes übrig als auch noch über den nächsten Pass (Pasul Creanga) zu fahren. Vielleicht finden wir in Toplița ein Schlafplatz. Dabei habe ich eigentlich gar keine Lust mehr.
Ohne weitere Zeit zu "verlieren" fahen wir Richtugn Pass. Immerhin, die endlose 50er-Zone ist beendet.
Nur wenige Kilometer ausserhalb von Borsec, fährt Martin auf einmal rechts ran.
Hast du den Unterstand in der Lichtung gesehen?“ fragt er mich. Ich nicke. „Lass uns das mal genauer ansehen“.
Vor dem überdachten Picknicktisch stellen wir unsere Motorräder ab.

Rumänien ist für seine Unberührte Natur und intaktes Wildtierleben bekannt. In den Karpaten lebt eine der größten Bärenpopulation Europas außerhalb Russlands.
Wild campen ist generell erlaubt. Der ADAC rät jedoch aus Sicherheitsgründen davon ab – wobei nicht ganz klar ist, ob damit vor Dieben oder Bären gewarnt wird.
Wir schauen uns um. Wie war das nochmals? Der Bär hat eigentlich kein Interesse an uns Menschen. Wir stehen nicht auf der Speisekarte.
Der Unterstand ist ideal. Es sieht nach Regen aus. Ein Tisch im Schärmen. Eine Lichtung, nahe an der Strasse. Wir sind müde und haben Kohldampf. Wir entscheiden uns zu bleiben, schlagen unser Zelt auf und spannen das Tarp.
Ich habe ein mulmiges Gefühl.

Es darf ausgesprochen werden, was Tatsache ist. Wir haben uns zwar mit dem Thema wildcampen in den Karpaten beschäftigt, wohl aber zu wenig intensiv. Von Zuhause aus auf der Couch „wirkt“ Zelten im Bärengebiet nicht ganz so bedrohlich.
Google-Suchergebnisse zu Bärenangriffen mögen auf den ersten Blick schockieren:
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Vorsicht in den Südkarpaten; Bissige Bären im Wandergebiet
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In den rumänischen Südkarpaten griff ein Bär ein Zelt mit vier schlafenden Touristen im Wandergebiet Padina an.
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Ein Hirte wurde von einem Bären mit Prankenhieben im Gesicht verletzt.
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Ein 44-Jähriger schlief in seinem Zelt, als er einem Grizzlybären zum Opfer fiel (Oktober 2019).
Und so weiter und so fort. Doch die meisten Berichte sind veraltet. Nur das letzte der oben aufgeführten Beispiele ist aktuell. So aktuell, dass es sich nur einen Monat nach unserer Reise ereignete *Gänsehaut*.
Viel beruhigender sind wissenschaftlich recherchierte Dokumentationen, wie z.B. die Quelle: © 2018 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 049/18 Braunbären in Europa:
Darin heisst es (stark zusammengefasst), dass die Karpatenpopulation mehr als 7.000 Bären beträgt. Gleichzeitig liegt die Zahl der Opfer von Bärenattacken (in Europa) bei durchschnittlich 1-2 Person pro Jahr.
Die Gefahr in Deutschland durch einen Hundebiss zu sterben ist somit dreimal so hoch (ca. 3,6 Todesfälle pro Jahr (Statistischen Bundesamtes, 2015)).
2019 gab es im grossen Kanton 3´059 Verkehrstote. Das sind dreitausendmal so viel.
Wer will da noch Angst vorm Bären haben?
Bevor ein Mensch – statistisch gesehen – von einem Bären getötet wird, kommt er eher durch Hunde, Autos, Bienen, einem Blitz oder Mörder um.
Doch jetzt sitzen wir nicht mehr auf der „sicheren“ Couch sondern stehen vor unserer ersten Nacht im Bärengebiet, tief in den Karpaten. Da hilft es auch nicht zu wissen, dass im Hohen Norden mehr Menschen durch Elche als durch Bären sterben.
Bären sind schlau und unglaublich stark. Sie können einen Menschen töten und fressen. Es kommt nicht oft vor, aber – und das ist der springende Punkt: Einmal reicht.

Es beginnt zu regnen und wir sind froh über unseren Unterstand. In der Mitte ein runder Holztisch und Bänke drum herum. Wir setzten uns mit dem Rücken zur Strasse. Mein Blick wandert immer wieder ans andere Ende der Lichtung, da wo langsam das letzte Tageslicht in dunklen Wald übergeht. Die Vorstellung, da hinten Augen zu entdecken, beruhigt nicht wirklich. Und doch kann ich es nicht lassen.
Während dem Essen tauschen wir nochmals unser Wissen aus:
Bären haben eine sehr gute Nase und können Düfte Kilometerweit ausmachen.
Da wir definitiv vermeiden möchten, nachts von einer schnuppernden Nase geweckt zu werden verpacken wir unser Geschirr und jegliche Essensreste in einer Plastiktüte. Gut verknüpft und verstauen diese in den Motorradkoffer.
Zum ersten Mal in meinem Leben frage ich mich, ob denn der wasserdichte Touratechkoffer auch Geruchsdicht ist?
Sollte sich der Bär dennoch daran zu schaffen machen, und das Motorrad gegebenenfalls umkippt, würde er vielleicht erschrecken oder wir zumindest aufwachen.
Sind uns irgendwelche Spuren aufgefallen, welche darauf hingewiesen hätten, dass sich hier regelmäßig ein Bär aufhält?
Bärenkot, Ausgegrabene Wurzeln oder Tatzenabdrücke? Wenn Ja, hätten wir sie überhaupt erkannt?
Ehrlich gesagt, aufgefallen ist mir nichts, aber so speziell danach gesucht habe ich auch nicht.
In unregelmäßigen Abständen donnern LKW´s vorbei. Sie hinterlassen das Gefühl, nicht ganz abseits der Zivilisation zu sein. Ein gutes Gefühl, irgendwie.
Es ist schon stockdunkel. Wir sollten uns schlafen legen. Ein letzter Blick ans andere Ende der Lichtung. Nur um sicher zu gehen, dass da nicht schon der Bär steht.